Du träumst von wolkenlosen Himmel in Azur. Getüncht in den Farben, die nur die hochfliegenden Möwen aus der Nähe sehen können und sich in ihren dunklen Onyxaugen spiegelt, wenn sie der Sonne ein klein wenig zu Nahe sind. Du willst die Federn ergreifen, die sich so mühelos in die Lüfte schwingen, du willst ihnen nachjagen und mit ihnen in den Zenit singen.
Dann besinnst du dich, weil das Meer um dich schlägt und die Wellen zu einem Tanz einladen, dem du nicht widerstehen kannst. Dein Herz pulsiert in seinem eigenen Takt, Pulsschlag über Pulsschlag zieht es dich mit. Du bist Teil deines Ganzen.
Du bist wahrgewordene Legende. Die Wogen flüstern Geschichten über deinen Namen und die Welt erschüttert, wenn sie dich hört. Du bist der Name geworden, dem jeder ein Bild verspricht, aber keiner weiß, was sich wirklich ereignet hat. Nun bist du schwarz und weiß und wirst mit mehligen Knochen gemalt. Strahlst in blutendem Rot und hast das Gesicht vieler Männer in all den Jahrhunderten angenommen.
Doch du bist einzig. Und diese alleinige Wahrheit spielt sich in den Erinnerungen, Sagen und Legenden auf dem Ozean ab, die deine Welt begleitet. Ein Bild, dass wenige kennen, das einigen noch immer die Haut wärmt und die Augen funkelnd macht. Ein Staunen, ein Raunen, ein Loblied, wenn man in diese Gesichter sieht, du, der sie alle berührt hat. Du bist
Jolly Roger.
Der Atem schmeckt bitter, während sich der Magen in Hitze aufbäumt und den Alkohol durch die Venen des heruntergekommenen Mannes schickt. Ein Mann, der sich wankend durch die dunkle Gasse schlängelt. Unsicheres Gehen, als der Körper sich vorbeugt, sich fängt und wieder ein paar Schritte voran gewinnt, nur um dann langsamer zu werden und taumelnd stehen bleibt. Der sichtlich besoffene Kerl stoppt, hält sich mit der einen Hand am Mauerwerk fest während die andere, das fettige Haar zurück streicht, nur um die rotblonden Strähnen erneut zurück in die glänzende Stirn fallen zu lassen. Die Dunkelheit verbirgt das raue Gesicht, des Trunkenbolds, verbirgt die Narben über dem linken blinden Auge, verbirgt das fehlende Lächeln, dass nur eine groteske Maske ist, die sich in den Schatten versteckt und in dieses Geheimnis gehüllt bleiben will, wie ein wärmender Mantel im eiskalten Reif der Wahrheit. Ein Glucksen zersplittert die Nacht, ein kehliges Lachen, nur um zu sehen, ob es noch existiert. Aber es fehlt etwas in diesem Lachen, es hört sich falsch an, gestellt und verbraucht. Der Klang tut weh, selbst in den eigenen Ohren, weswegen man in Stille zurückkehrt. Diese Nacht ist eine von vielen. Diese Nacht, beginnt und endet wie jede andere. Das denkt der Kerl, während er auf seine Pranke sieht, als läge darin die Antwort aller Fragen. Das verbliebene Auge starrt Minutenlang nur auf diese leere Handfläche, bis etwas in seinen Innereien stockt, die Hand zur Faust ballt und sie gegen die Hauswand schlagen lässt. Außer kleinen Kieseln, passiert nichts. Nichts. Und das hämmert sich mit einer immensen Gewalt in seinen Kopf. Den man schüttelt, den man sich von den Schultern reißen will und ins Meer schmeißen möchte, auf das er ewig darin versinkt, dort, wo seine Kameraden liegen, dort wo die Leichen seiner Freunde ertrunken sind. Du bist erbärmlich geworden, Kerl. Wo ist der einst so freie Mann hin, der sich kein Abenteuer nehmen ließ? All die Jahre haben dich verkümmern lassen, du dummer Narr, was hast du mit dir angestellt?